Kennen Sie das Gefühl, wenn ein Brief vom Amt oder eine Rechnung im Briefkasten landet und man eigentlich vor dem Lesen schon gar keine Lust mehr hat sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen?
Und jetzt stellen Sie sich vor Sie hätten Leseschwierigkeiten, eine körperliche oder geistige Einschränkung, oder einfach nur eine andere Muttersprache als Deutsch.
Laut der Leo-Studie der Universität Hamburg [1] sind 6,2 Millionen Menschen in Deutschland gering literalisiert. Zusätzlich schreiben 10,6 Millionen Erwachsene „auffällig fehlerhaft“.
Das bedeutet: Sie beherrschen nicht die Rechtschreibung auf dem Niveau am Ende der Grundschule und können nur mühsam lesen.
Fast 17 Millionen Menschen, fast ein Drittel unsere Gesellschaft, hat also vielleicht nicht „nur keine Lust“ dem Finanzamt zu antworten, sondern ernsthafte Schwierigkeiten damit Briefe und deren Inhalt einwandfrei zu verstehen.
Wir haben mit diesen Menschen gesprochen und gefragt, wie es sich mit der Angst lebt – wenn jederzeit ein Brief kommen könnte, der unmöglich zu verstehen ist.
„Ich kann Ihnen sagen, wenn ich einen Brief aufgemacht habe, dann bin ich immer angefangen zu schwitzen. Mein ganzer Körper hat gezittert […] wenn ich den Brief aufgemacht hab und versucht habe zu lesen.“ (Oliver M.)
Das Ergebnis davon sind verpasst Fristen, Berge aus ungeöffneter Post oder Zeitungsabonnements, die man eigentlich gar nicht abschließen wollte. Vorwürfe kommen auch dazu, zum Beispiel beim Arbeitsamt, wo Halima B. vorgeworfen wurde, sie habe den Antrag nicht komplett ausgefüllt.
Geringe Literalisierung, Leseschwierigkeiten, Legasthenie etc. – all das ist immer noch mit vielen Stigmata verbunden und mit Scham behaftet. Briefe, Antragsformulare und komplizierte Schreiben tragen nicht unbedingt dazu bei, diesen Stigmata entgegenzuwirken. Im Gegenteil: Statt den Menschen die Hand zu reichen und Sprache für alle verständlich zu gestalten, bleiben insbesondere förmlich verfasst Schreiben immer noch ein Beispiel für oft unnötig verschachtelte Sätze. Und Information damit etwas Elitäres, das fast ein Drittel unserer Gesellschaft ausschließt.
Mit unserer Aktion „Zurück zum Absender“ tun wir genau das, was der Titel verspricht: Schwierige Briefe zurückschicken. Es geht darum deutlich zu machen: Hier würde jemand Sie gerne verstehen, kann es aber nicht.
Unsere Aufkleber „Zurück zum Absender“ können Sie bei uns bestellen. Nutzen Sie dafür einfach das Bestellformular. Und wenn Sie das nächste Mal Kopfschmerzen von Ihrer Post bekommen, schicken Sie diese doch einfach mal zurück. Vielleicht ist dann der nächste Brief so geschrieben, dass wir alle Ihn verstehen können.
[1] Grotlüschen, Anke; Buddeberg, Klaus; Dutz, Gregor; Heilmann, Lisanne; Stammer, Christopher (2019): Leo 2018 – Leben mit geringer Literalität. Pressebroschüre, Hamburg. Online unter: https://leo.blogs.uni-hamburg.de/
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