Der Weltalphabetisierungstag ist am 8. September, also am kommenden Sonntag. Allein das Wort "Weltalphabetisierungstag" macht mich nachdenklich. Ein sprachliches Ungetüm, 24 Zeichen lang. Dabei will der Tag doch auf Menschen hinweisen, für die Schrift nicht selbstverständlich ist: Menschen, für die "Weltalphabetisierungstag" ein unlesbares Wort ist.
Welt
Der Aktionstag wird weltweit begangen. Denn Alphabetisierung ist weltweit ein Thema. Allerdings ist mit "Alphabetisierung" nicht weltweit das gleiche gemeint.
Alphabetisierung
In vielen Ländern des globalen Südens gibt es noch immer Menschen, die keine Buchstaben kennen: Menschen, die überhaupt nicht lesen und schreiben können. Es gibt immer noch Kinder, die nicht zur Schule gehen. Es gibt Schulen, in denen viel zu viele Kinder in einem Raum sitzen und dem (meist männlichen Lehrer) Texte nachsprechen. Der Lernerfolg: gering.
In den Industrienationen ist das Problem ein anderes. Es gibt Schulen, es gibt eine Schulpflicht, alle lernen das Alphabet. Also alles prima, oder? Leider nicht. Denn es reicht nicht, die Buchstaben zu kennen. Nur wer die Buchstaben zu sinnvollen Wörtern und die Wörter zu sinnvollen Sätzen zusammenbringt, hat eine nutzbare Fähigkeit.
Dazu kommt, dass unsere Welt immer höhere Anforderungen an die Schrift-Kompetenzen von uns allen stellt. Ständig müssen wir lesen und schreiben, vor allem auch online. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass weniger Papier im Alltag auch weniger Schrift bedeute. Dazu kommen Dokumentationspflichten und bürokratische Anforderungen - auch in Jobs, die man nicht mit Schreibtischarbeit verbindet.
Deshalb gibt es in den Industrieländern das Problem des "funktionalen Analphabetismus". Das bedeutet: Ein Mensch kann zwar technisch lesen und vielleicht auch schreiben. Aber die Fähigkeiten reichen nicht aus, um den Anforderungen der Umwelt zu entsprechen. Dieses Problem betrifft in Deutschland über 6 Millionen Erwachsene, Rentnerinnen und Rentner nicht mitgezählt.
Tag
Was ein Tag ist, sollte klar sein. Gemeint ist hier natürlich ein Tag, an dem Aufmerksamkeit geschaffen werden soll. Ein Aktionstag. Ein Protesttag. Ein Tag, der den Finger in die Wunde legt.
Der Weltalphabetisierungstag und die Einfache Sprache
klar und deutlich schreibt Texte in Einfacher Sprache . Auch für funktionale Analphabeten. Einfache Sprache kann für diese Menschen eine "Brücke" zur Schrift sein. Texte in Einfacher Sprache sind eine kleinere Hürde als andere Texte. Der Verleger Ralf Beekveldt spricht in diesem Zusammenhang immer davon, dass ungeübte Leserinnen und Leser mit Einfacher Sprache "Lesekilometer" machen können.
Wer technisch lesen kann, es aber meidet, weil es anstrengend ist, für den sind Texte in Einfacher Sprache eine Einladung zum Üben. Und beim Lesen gibt es - wie bei vielen anderen Fähigkeiten - einen Trainings-Effekt. Wer mehr liest, liest besser. Wer besser liest, dem fällt es leichter. Wem es leichter fällt, der liest mehr. Eine Aufwärts-Spirale. Einfache Sprache ist nicht die alleinige Antwort auf funktionalen Analphabetismus. Aber ein wirksames Mittel ist sie eben doch.
In diesem Sinne: Einen kämpferischen Weltalphabetisierungstag Ihnen!
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