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  • AutorenbildSönke Stiller

BITV 2.0 – Der ganz große Wurf?

Es ist ein edles Anliegen: Ein Gesetz, das Barrierefreiheit in der IT schaffen will. Ein Gesetz, das auf diese Weise Informationen barrierefrei machen will. Ein Gesetz, das für Bundesbehörden gilt. Ähnliche Gesetze gelten auch in den Ländern. Also alles prima, oder?


Schaut man genauer hin, ist die Rechtslage Lösung und Problem zugleich. Mit „Rechtslage“ meinen wir nicht nur die BITV 2.0, sondern auch entsprechende Gesetze der Länder, Behindertengleichstellungsgesetze (was für ein Wort!) von Bund und Ländern sowie zugrundeliegende EU-Richtlinien etc. – kurz: die Summe der Gesetze, Verordnungen und sonstigen juristischen Regeln für Barrierefreiheit in der Information.


Warum sehen wir die Rechtslage durchaus kritisch? Das hat zwei Gründe:

  1. die pauschale Festlegung auf Leichte Sprache

  2. die Umsetzung des Rechts in die Praxis


1. Leichte Sprache als Standard

Leichte Sprache als Standard für Menschen mit Behinderung ist erst einmal kein Problem, sondern durchaus angemessen. Wenn man das Thema also eng fasst und es wirklich nur um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung geht, erfüllt das Gesetz an dieser Stelle seinen Zweck.


Allerdings vergisst diese Betrachtungsweise, dass der Zugang zu Informationstechnologie und zu Informationen nicht nur für Menschen mit Behinderung eine große Hürde ist. Wenn immer mehr Dinge im Leben online zu erledigen sind, ist das ein Gewinn an Lebensqualität. Aber wenn sie nur noch online zu erledigen sind, wird die Errungenschaft plötzlich zur Barriere – nämlich für diejenigen, die entweder mit der Technik nicht zurechtkommen oder die nicht gut lesen und schreiben können: gering literalisierte Erwachsene.


Suchen wir nur das Haar in der Suppe? Nein. Wer jetzt argumentiert „Moment, aber bei der BITV 2.0 geht es um Menschen mit Behinderung“, der hat einen Punkt. Aber wir halten dagegen: Millionen Menschen bleiben trotzdem außen vor. Und für diese Menschen ist Leichte Sprache nicht hilfreich und nicht attraktiv. Wir brauchen eine Erweiterung des Rechts. Es muss ein allgemeines Recht auf Zugang zu verständlicher Information geben - nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern für alle. Nur so profitieren die vielen Millionen Menschen, die Leichte Sprache nicht brauchen, aber auf verständliche Alltagssprache angewiesen sind.


2. Umsetzung: Eine Verhöhnung der Nutzer:innen?

Eigentlich fordert das Gesetz (unter anderem) „Informationen zu den wesentlichen Inhalten“ einer Website sollten in Leichter Sprache verfügbar sein. Wenn das tatsächlich so praktiziert würde, wäre viel gewonnen. Leider werden meist statt der tatsächlichen Informationen nur reine Inhaltsangaben in Leichte Sprache übertragen. Dazu kommen Navigationshinweise und Barrierefreiheitserklärung und dem lästigen Gesetz ist Genüge getan.


Verstehen Sie uns nicht falsch: Der Gesetzestext ist hier nicht das Problem, sondern die Umsetzung des Gesetzes ist das Problem. Es entstehen gerade viele Texte, die ihren Leser:innen sagen „Unter dem Menüpunkt X auf unserer Website könntest du folgende wichtige Information finden. Leider wirst du kein Wort verstehen. Wir haben uns nicht die Mühe gemacht, die Inhalte der hier genannten Seiten auch verständlich aufzubereiten.“.


Diese Art der Umsetzung finden wir zynisch. Wir verstehen jeden Auftraggeber, der unter bürokratischen Vorschriften ächzt und stöhnt. Wir tun das manchmal auch. Wir verstehen auch absolut, dass man sich nicht mehr Arbeit machen will, als die Umsetzung der Vorschriften ohnehin bedeutet. Das ist ein echtes Problem. Aber diese Sichtweise blendet die Interessen der Nutzer:innen vollkommen aus. Und das sehen wir kritisch.


Was ist zu tun?

Wir sollten darüber nachdenken, was es bedeutet, dass 30 % der Erwachsenen bisher in der Debatte völlig unberücksichtigt bleiben. Unser Vorschlag: In der gesamten öffentlichen Kommunikation Verständlichkeit für 95 % der Adressat:innen erreichen – und zwar verbindlich vorgeschrieben für Behörden, Unternehmen und Vereine.


Und wenn es um Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung, also die „übrigen“ 5 % der Bevölkerung, geht, müssen wir das bestehende Recht nur wörtlich nehmen: Wesentliche Informationen sollten in Leichter Sprache verfügbar sein. Nicht nur die Information darüber, dass es die Information irgendwo in unverständlicher Sprache gibt.


Das wäre echte Teilhabe für alle - ein lohnenswertes Ziel, oder? Kommentieren Sie gern, wir freuen uns, Ihre Meinung zu lesen und uns mit Ihnen auszutauschen. Und: Teilen Sie diesen Artikel gern.


Ihr Sönke Stiller

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