Heute nehme ich Sie mit in ein paar Gedanken, die mich schon länger beschäftigen. Ich frage mich nämlich: Ist eine Sprache für alle möglich?
Gibt es nicht längst eine Sprache für alle?
Wahr ist: Oft versuchen wir, alle Menschen mitzunehmen. Aber wir denken dabei nur an bestimmte Menschen und schließen deshalb andere aus. Zwei Beispiele:
Geschlechtergerechte Sprache will alle Menschen sicht- und hörbar machen. Aber sie kann Sprache auch kompliziert machen. Dann schließt sie Menschen aus, die den Inhalt eines Textes nicht mehr verstehen.
Leichte Sprache will Informationen so verständlich wie möglich machen. Aber sie erzeugt ein Nebeneinander, kein wirklich inklusives Miteinander: Die einen brauchen und lesen Leichte Sprache, die anderen „Standardsprache“.
Die beiden Beispiele zeigen schon: Eine Sprache für alle zu sprechen und zu schreiben, ist schwierig. Es gibt echte Zielkonflikte bei dem Versuch. Dabei haben wir noch nicht einmal über diejenigen gesprochen, die sich über „Gendersprache“ aufregen oder Leichte Sprache belächeln.
Verwirrende Vielfalt
Zu allem Überfluss gibt es in Deutschland eine bunte Vielfalt an Sprachvarianten. Sie nennen sich „klare Sprache“, „bürgernahe Verwaltungssprache“, „Leichte Sprache“, „Leichte Sprache Plus“, „Einfache Sprache“, „Capito Leicht Lesen“, „Verso“ und so weiter. Diese Vielfalt kommt aus zwei Gründen zustande:
Es gibt keine unabhängigen Standards für inklusive Kommunikation.
Viele Anbieter wollen auf dem Markt mit einem eigenen Markennamen sichtbar werden. So verständlich der Wunsch ist, so verwirrend ist das Ergebnis.
Was man ändern könnte
Was also tun? Eine Schlussfolgerung ist sicher falsch: gar nichts tun. Denn damit würde man wissentlich in Kauf nehmen, noch mehr Menschen sprachlich auszugrenzen.
Vielleicht hilft ja ein Blick in unser nordwestliches Nachbarland. In den Niederlanden gibt es eine Sprachform, die sich „Taal voor allemaal“ nennt, „Sprache für alle“. Das Schwierigkeitsniveau liegt zwischen Leichter Sprache und Einfacher Sprache; in Deutschland am ehesten mit „Leichte Sprache Plus“ vergleichbar. Taal voor allemaal wird wissenschaftlich begleitet, folgt klaren Regeln und bietet dennoch Raum für freie Formulierungen. Und sie bezieht ihre Nutzer mit ein. Im Unterschied zur Leichten Sprache wird nicht in Gruppen geprüft, sondern in Einzelgesprächen. Das ist aufwändig, aber so beeinflussen sich Prüferinnen nicht gegenseitig.
Noch eine Variante?
Mir geht es hier nicht um einen weiteren, zusätzlichen Namen „Sprache für alle“. Ich wünsche mir, dass wir wirklich inklusiv sprechen und schreiben. Damit meine ich keine „Sprachpolizei“; ich wünsche mir nicht, dass irgendwer vorgibt, wie Menschen sprechen sollen. Stattdessen wünsche ich mir mehr Achtsamkeit füreinander. Es geht mir um eine Denkweise, die niemanden ausschließt. Die Sprache folgt dem Denken, da bin ich sicher.
Wie schön wäre es, wenn Menschen mit Lernschwierigkeiten alles verstehen und anspruchsvolle Leserinnen nicht abgeschreckt werden; wenn alle gemeint und angesprochen sind, ohne dass es zu kompliziert wird; wenn ein einziger Text reicht um alles zu sagen und niemand merkt, dass eine Website barrierefrei ist – weil das der Normalfall ist?!
Was denken Sie? Ist das möglich? Und was braucht es dafür? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.
Viele Grüße
Sönke Stiller
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